Dienstag, 28. Oktober 2014

Wer ist eigentlich der miese Begleiter?

"Oh, du arme!" "Oh, das ist ja furchtbar!"

Das höre ich öfter, wenn ich jemandem von meiner Krankheit erzähle.
Mein Mieser Begleiter, wie ich ihn hier nenne, es ist tatsächlich nicht schön, dass er immer da ist - aber ich finde, es könnte wesentlich schlimmer sein.

Aber was hab ich denn nun eigentlich? Ich habe Morbus Crohn, das ist eine chronisch entzündliche Darmkrankheit, die in Schüben verläuft und somit mal besser und mal schlimmer ist. Wenn ich einen Schub habe, ist oft mein kompletter Verdauungsapparat, angefangen im Mund, endend am...äh Ende, davon betroffen. Ist es extrem und akut, kann ich nichts essen, weil mein ganzer Mund entzündet ist und was ich esse, kommt mehr oder weniger sofort in stark verflüssigter Form und ohne Rücksicht auf Verluste oder die Anwesenheit von Klos wieder raus. Dann ist es schon passiert, dass ich in wenigen Wochen bis zu 10 Kilo abgenommen habe.  Das ist zum Glück schon länger nicht mehr vorgekommen, weil ich mittlerweile gelernt habe, die Anzeichen eines beginnenden Schubs zu erkennen und es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Mein Fluch und Segen, Cortison, hilft sofort und auch wenn es ziemlich ätzende Nebenwirkungen hat (bei höherer Dosis), so bin ich doch froh, dass ich es habe.

Bisher hatte ich 2 starke Schübe, einen gleich nach dem Abi, mit Rheuma, Ärztemarathon, extremem Gewichtsverlust (man unterstellte mir gar Magersucht..) und am Ende mit der Erkenntnis, welche Medikation für mich die richtige ist und WAS genau ich eigentlich habe.

Zuvor hieß es nämlich, es sei "nur" Colitis Ulcerosa. Bei einer Colitis ist, grob gesagt, nur der Darm von den Entzündungen betroffen, beim Crohn eben der ganze Verdauungsapparat. Ich will das hier gar nicht einzeln erläutern, was genau der Unterschied ist, fürs allgemeine Verständnis sollte das genügen. Wenn man jede Woche eine neue Diagnose bekommt, dabei vom Arzt zum Heilpraktiker und von dort wieder ins Krankenhaus und zurück zum Arzt rennt, die eigenen Eltern nicht wissen, was sie noch mit einem machen sollen und man selbst schon gar nicht, dann ist eine abschließende Diagnose schon was feines.
Da war er also, der Miese Begleiter. Hatte einen Namen und eine Medikation. Und wurde besser. Und liess mich wieder aufleben. Damals fing ich grade meine Ausbildung an. Wow, war das eine tolle Zeit- ich glaube, ich habe nie besser ausgesehen, als zu diesem Zeitpunkt.

Den nächsten Schub bekam ich, als die kleine Fee grade ein Jahr alt wurde. Inklusive Krankenhausaufenthalt, was schrecklich war. Und ich war auch noch selbst schuld, denn ich hatte in der Schwangerschaft einfach die Medikamente abgesetzt, aus Angst, sie könnten für mein Baby schädlich sein. Die Warnzeichen ignorierte ich einfach. Sowas kann, bzw. konnte ich echt gut.
(In der zweiten Schwangerschaft wusste ich es besser und habe die Medikamente nicht abgesetzt.)

Also, wieder Cortison. Ich hatte 10 oder mehr Kilo abgenommen, was nach der Schwangerschaft anders gedeutet wurde, als bei meinem ersten Schub. "Wow, siehst du wieder toll aus!" Ja, nur leider nicht auf gesundem Wege- also war klar, dass das nichts dauerhaftes sein würde. So ging auch dieser Schub vorbei und ich schwor mir, dass ich es nie wieder so weit kommen lassen würde.

MC ist eine psychosomatische Krankheit- das bedeutet, wenn ich Stress habe, äussert sich das umgehend und der Darm unterscheidet- leider- auch nicht zwischen positivem Stress und negativem.
Dem ist das egal, dass ich persönlich grade meine, ich könnte Bäume ausreissen und dass mir das alles so viel Spaß macht. Und dann muss ich, wohl oder übel, auch mal öfter ein bisschen Pause machen und durchatmen, sofern das möglich ist.

Aber ganz ehrlich: Ich finde es nicht so schlimm, dass ich MC habe und der Miese Begleiter wohl mein ganzes Leben lang an meiner Seite sein wird. Mal mehr, mal weniger offensichtlich. Ich muss vielleicht ein wenig öfter zum Arzt als andere, ich kann kein Blut spenden, leider.
Wenn ich dann "oh, du arme" und ähnliches höre, schmunzle ich innerlich ein wenig, denn für jemand gesunden ist es sicher eine schreckliche Vorstellung, MC zu haben. Und es gibt ja auch weitaus schwerere Fälle, als meinen. Leute, die einen künstlichen Darmausgang haben, z,B. Oder Leute, die nicht alles essen oder trinken können, weil es sich sofort bemerkbar macht.
Für MICH, ist aber das Leben mit MC meine Normalität- seit ich 16 bin kenne ich es nicht anders, das ist mein halbes Leben.

Es ist nicht so, dass ich ein besonders gläubiger oder spiritueller Mensch wäre- aber ich denke schon, dass Dinge passieren, weil es so sein soll und das vieles vorherbestimmt ist- auch wenn wir immer bis zu einem gewissen Grad mit entscheiden und lenken können. Darum glaube ich auch, dass mein MC mein persönlicher Preis ist, den ich für all mein anderes Glück, das tausend Mal schwerer wiegt, zahlen muss. Und ich zahle das gern, wenn ich dafür sonst so glücklich sein darf.

Ich denke oft, es gibt Menschen, die haben ein so viel schwereres Schicksal zu tragen, unheilbare Krankheiten. Da geht es mir doch wirklich, wirklich gut! Und ja, dann bin ich regelrecht dankbar, dass ich "nur" MC habe und nichts, was mein Leben in naher Zukunft einfach beenden könnte, ohne das irgendjemand irgendwas dagegen machen könnte.

Alles ist eine Frage der Einstellung- sicher könnte ich mich (wieder) ins Bett verkriechen, ein bisschen heulen und hadern und warten, dass es vorbei geht. Aber das will ich nicht, weil das Leben da draussen sonst ohne mich statt findet. Zudem habe ich zwei Kinder und meinen Herrn Schatz, meine Fotografie und einen Haushalt, Familie und Freunde. Die brauchen mich- und ich brauche sie.

Und so renne ich nun eben bei jedem ersten Anzeichen zum Doc, lasse Blut abnehmen und dann werden meine Medikamente neu eingestellt, so es sein muss. Ich habe keinen Spaß daran, nein. Und es ist auch nicht schön. Aber so ist es eben. Nicht mehr und nicht weniger.

So, jetzt wisst ihr Bescheid.