Bis heute habe ich mich nicht davor gefürchtet, alt zu werden.
Ich kenne einige alte Leute, die sind halt zittriger und vergesslicher als sie mal waren, aber an sich haben sie (glaube ich zumindest) noch ein ganz passables Leben und unternehmen noch recht viel. Mein erster Nebenjob war in einem Altenheim, es ist also nicht so, als wüsste ich nicht um das Elend, das manchmal in solchen "Abschiebeanstalten" herrscht. Für einen selbst ist das Ganze aber noch so unendlich weit weg, dass man sich halt keine Gedanken darum macht, dass man selbst auch einmal so enden könnte.
Nun schaut es so aus, als könne meine Lieblingsoma, bei der ich quasi mit aufgewachsen bin, nicht mehr allzu lange alleine leben, ausserdem macht sie kaum Anstalten, dass sich ihr körperlicher Zustand verbessert. Somit steuert sie zwangsläufig die Pflegebedürftigkeit an. Was gleichzeitig bedeutet, dass sie in ein Heim muss, denn von ihren Kindern kann und will sie niemand pflegen. Für meine Oma ist das, glaube ich, der Horror und sie wird sich schrecklich abgeschoben und alleine vorkommen, denn sie ist auch nicht wirklich der gesellige Typ, der auf andere zugeht. Zugegebenermaßen bin ich auch nicht die Enkelin, die jede Woche mal vorbei schaut. Eher vielleicht einmal im Monat oder in schlechten Phasen alle paar Monate mal.
Das hat seine Gründe und ich habe auch kein schlechtes Gewissen deswegen, aber eigentlich kostet es mich nichts oder nicht viel, sie hin und wieder mal ein halbes Stündchen zu besuchen.
Meine Oma ist aber irgendwie nicht mehr meine Oma, die ich mal kannte. Sie hört kaum noch und wird immer stiller, ergo unterhalte ich mich eigentlich mit mir alleine, wenn ich dann doch mal zu Besuch bin. Ich fahre also immer nur dann hin, wenn ich mindestens eine halbe Stunde am Stück etwas erzählen kann, denn wenn wir uns anschweigen, fühle ich mich sehr unwohl. Also bleibe ich lieber daheim.
Heute waren wir dann die Schwester meines verstorbenen Opas Besuchen (also die Schwägerin meiner Lieblingsoma) und die hat mich nicht erkannt. Meine Mama hat sie mit meiner anderen Tante verwechselt und überhaupt machte sie einen ziemlich "verfallenen" Eindruck. Das ganze Zimmer war mit Werbeprospekten versehen, die sich überall fanden, in Schubladen, auf Tischen, Stühlen und Bänken. Der Kleiderschrank war sehr durcheinander, Kleidungsstücke lagen auf dem Boden oder waren kaputt. Mittendrin das arme Gretchen. Irgendwann fing sie an zu weinen und sagte, wenn sie gewusst hätte, dass sie einmal so endet, hätte sie sich eher das Leben genommen. Das finde ich ganz schrecklich, denn dieser eine Satz sagt ja so ziemlich alles aus. Alt werden und nicht mehr Herr seines Körpers und Geistes zu sein, nicht mehr mitzubekommen, was mit einem passiert, wo man ist und was man hier macht, das muss furchtbar sein. So war ich dann auch froh, als wir nach einer halben Stunde wieder gegangen sind. Dieser Besuch im Altenheim hat mich aber nachdenklich gemacht.
Sicher, alt werden gehört nunmal zum Leben dazu, aber ist es wirklich vorprogrammiert, dass man irgendwann einfach nur so dahin vegetiert und sich wünscht, man wäre schon längst tot?
Wenn ich mir dann noch vorstelle, dass es vermutlich nicht mehr lange dauert, bis auch meine Oma so endet, dann macht mich das ziemlich betroffen- es entstehen Bilder in meinem Kopf, auf denen ich mich um meine Oma kümmere um ihr das zu ersparen. Aber gleichzeitig weiß ich auch, wie unrealistisch das ist. Ich hasse das. Es war schon schlimm genug, als mein Opa gestorben ist, aber er war wenigstens bis zum Schluss daheim, auch wenn er ganz am Ende auch nicht mehr wirklich er selber war. Am meisten ärgert mich aber, dass meine Oma noch viel mehr aus sich und ihrem Leben machen könnte, wenn sie nur wollte. Aber sie will einfach nicht mehr. Schon seit mein Opa tot ist.
Manchmal ist das Leben doof.